Hohe Auflösung, variable Schallköpfe und leistungsstarke Analysesoftware – dank technischer Weiterentwicklungen erschließt der Ultraschall sich immer neue Anwendungsgebiete. Was in Studien bereits vielfach untersucht und belegt ist, schlägt sich zunehmend in den medizinischen Leitlinien nieder und findet damit auch den Weg in die Praxis. Wie eine sorgfältige Leitlinienarbeit wichtige Neuerungen zum Wohle der Patienten anstoßen kann, zeigt die S2e-Leitlinie zur Fraktursonografie, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e.V. (DEGUM) erstellt und vor eineinhalb Jahren veröffentlicht wurde und nun kurz vor der Zulassung als Kassenleistung steht.
„Leitlinienarbeit findet in Deutschland auf sehr hohem Niveau statt“, sagt DEGUM-Präsident Professor Dr. med. Markus Hahn vom Universitätsklinikum Tübingen. Sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte bedeute dies ein hohes Maß an Sicherheit. Zu dieser Entwicklung tragen auch Expertinnen und Experten der DEGUM bei. Derzeit ist die Fachgesellschaft an 82 Leitlinien beteiligt, die laufend auf Aktualität hin überprüft werden müssen. Gerade bei einer sich rasch entwickelnden Technik wie dem Ultraschall gilt es zudem, auch neue Anwendungsmöglichkeiten in die Leitlinien einzuarbeiten. Um diese Arbeit bewältigen zu können, hat die DEGUM aktuell eigens ein Leitlinienbüro eingerichtet.
Leitlinienarbeit führt zu Paradigmenwechsel
Wie Leitlinien zu einem Paradigmenwechsel im medizinischen Alltag beitragen können, hat die S2e-Leitlinie zur Fraktursonografie eindrücklich gezeigt. „Beim Verdacht auf einen Knochenbruch gab es lange Zeit keine Alternative zum Röntgen“, erinnert sich PD Dr. med. Ole Ackermann, Orthopäde und Unfallchirurg aus Duisburg und Koordinator der DEGUM-Leitlinie. Ungefähr seit der Jahrtausendwende sei der Ultraschall jedoch dank rasanter Fortschritte bei Hard- und Software durchaus konkurrenzfähig geworden. Heute seien bereits Ultraschallgeräte mittlerer Qualität in der Lage, Frakturen mit hoher Sicherheit zu diagnostizieren. „Das gilt besonders für handgelenksnahe Brüche des Unterarms, die häufigste Fraktur im Kindes- und Jugendalter“, erläutert Ackermann. In dieser Altersgruppe sollten gemäß der Leitlinie auch Brüche am Ellenbogen, am Oberarm, sowie Rippen- und Schädelfrakturen per Fraktursonografie untersucht werden. Die Technik ist inzwischen so ausgereift, dass selbst unverschobene Risse, sogenannte Fissuren, im Knochen gut dargestellt werden können. Lediglich vor einer Operation sei meist noch eine Röntgenaufnahme notwendig.
Besonders für junge Patientinnen und Patienten bringt die Bildgebung per Ultraschall etliche Vorteile gegenüber dem klassischen Röntgen mit sich: Sie ist dank kleiner, tragbarer Ultraschallgeräte meist schnell verfügbar, kann bei Bedarf sogar auf den Schoß der Eltern durchgeführt werden, ist schmerzarm in der Anwendung und kommt ganz ohne Strahlenbelastung aus. Deshalb empfiehlt auch die Strahlenschutzkommission die Sonografie bereits seit zwei Jahren als Basisuntersuchung im Kindes- und Jugendalter. Und auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bescheinigt der Sonografie bei Kindern mit Verdacht auf einen Unterarm- oder Ellenbogenbruch einen „höheren Nutzen“ im Vergleich zur Röntgendiagnostik. Aktuell wird die Fraktursonografie für diese Indikation – einschließlich des Oberarmknochens – im Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA beraten, eine letzte Anhörung, zu der Vertreter der DEGUM geladen waren, hat am 22. August 2024 stattgefunden. Die
Zulassung als Kassenleistung wird demnächst erwartet.
Voraussetzung für die Anwendung des Ultraschalls in der Frakturdiagnostik ist die Verfügbarkeit eines Ultraschallgeräts mindestens mittlerer Qualität mit hochauflösendem Linearschallkopf, sowie eine entsprechende Qualifikation des Anwenders. „Prinzipiell kann jeder Arzt und jede Ärztin die Fraktursonografie nach einer kurzen Einarbeitungszeit sicher durchführen“, betont Ackermann. In entsprechenden DEGUM-Kursen seien in den vergangenen Jahren bereits rund 2000 Ärztinnen und Ärzte aus Chirurgie, Orthopädie, Pädiatrie und Radiologie in der Technik ausgebildet worden – ein wertvoller Beitrag zur flächendeckenden Etablierung der Fraktursonografie als schonende und aussagekräftige Diagnostik. „Erfreulicherweise ist der Ultraschall bereits heute in vielen Praxen und Krankenhäusern bei der Frakturdiagnostik die erste Wahl.“
Hier geht es zur Leitlinie: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/085-003
Hintergrundinfo:
In der evidenzbasierten Medizin sollen ärztliche Entscheidungen von den Ergebnissen der medizinischen Forschung geleitet sein. Ein wesentliches Bindeglied in diesem Wissenstransfer sind die Leitlinien, die in Deutschland von der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich-Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) erstellt werden. Expertengremien übernehmen hier die Aufgabe, die der einzelne Arzt, die einzelne Ärztin heute nicht mehr bewältigen kann: Sie sichten die umfangreiche Fachliteratur, bündeln die Evidenz und kommen so zu konkreten Handlungsempfehlungen für Diagnostik und Therapie.