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Kontroverse um den NIPT: Ein Bluttest kann den genauen Blick auf das Ungeborene nicht ersetzen

| Pressemitteilungen 2022, DEGUM Aktuell,

Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e.V.

Der nichtinvasive Pränataltest (NIPT) auf Chromosomenstörungen beim ungeborenen Kind ist ohne Zweifel ein leistungsfähiger Test. Er erkennt mit großer Sicherheit, ob ein Kind von einer der drei häufigsten Trisomien – der Trisomie 21 (Down-Syndrom), der Trisomie 18 oder der Trisomie 13 – betroffen ist. Damit erschöpft sich jedoch die Aussagekraft des Tests, mahnt die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e. V. (DEGUM). Über die große Mehrzahl möglicher kindlicher Fehlbildungen gebe er keine Auskunft. Auf keinen Fall dürfe der NIPT daher die frühe Ultraschalldiagnostik ersetzen. Auf einer Online-Pressekonferenz am 7. Dezember 2022 nehmen Experten der Fachgesellschaft zum Thema vorgeburtliche Diagnostik Stellung, aber auch zu weiteren Aspekten des gynäkologischen Ultraschalls rund um Schwangerschaft und Fruchtbarkeit. 

Für eine vorgeburtliche Erbgutanalyse war lange Zeit ein invasiver Eingriff notwendig, bei dem das notwendige Probenmaterial aus dem Fruchtwasser oder aus der Zottenhaut innerhalb der Gebärmutter gewonnen werden musste. Der NIPT dagegen macht sich die Tatsache zunutze, dass kindliche Erbgutstücke auch frei im Blut der Mutter treiben. Diese sogenannte zellfreie DNA kann risikolos gewonnen und auf Unregelmäßigkeiten hin untersucht werden. Erkennungsraten von 95 bis 99 Prozent für die genannten Trisomien und eine Falsch-Positivrate von nur 0,1 Prozent (1) suggerieren leicht, der NIPT stelle eine umfassende vorgeburtliche Gesundheitsprüfung dar. „Die Blutuntersuchung sollte aber keinesfalls als Universaltest für ein gesundes Kind betrachtet werden“, sagt Professor Dr. med. Karl Oliver Kagan, Leiter Pränatale Medizin an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Tübingen und Leiter der DEGUM-Sektion Gynäkologie und Geburtshilfe. „Das Testspektrum ist bislang zuverlässig auf die drei gängigen Trisomien 21, 18 und 13 beschränkt, die je nach Alter der Mutter nur rund ein Achtel bis die Hälfte der Chromosomenstörungen ausmachen.“ (2) Für alle weiteren Chromosomenstörungen sei weiterhin eine Fruchtwasseruntersuchung oder eine Chorionzottenbiopsie notwendig. Und auch ein positiver NIPT müsse unbedingt mit einem dieser invasiven Verfahren bestätigt werden.

Verglichen mit dem NIPT deckt die Ultraschallfeindiagnostik ein wesentlich breiteres Spektrum an kindlichen Gesundheitsstörungen ab. Als Bestandteil des Ersttrimesterscreenings wird sie zwischen dem Anfang der zwölften und dem Ende der 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Die Untersuchung kann Hinweiszeichen sowohl für die häufigen als auch für seltenere Chromosomenstörungen sichtbar machen (3, 4). „Der frühe Ultraschall ermöglicht es, das Risiko für genetische Störungen genauer einzuschätzen und sollte daher immer vor einem NIPT oder einer invasiven Diagnostik durchgeführt werden“, so Kagan.

Anders als die genetischen Testverfahren nimmt die Ultraschallfeindiagnostik zudem das ganze Kind in den Blick und erlaubt so auch Aussagen zu Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen, die keine genetische Ursache haben. „Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Spina bifida, der sogenannte offene Rücken“, sagt Kagan. Aber auch Herzfehler – von diesen sind rund ein Prozent der Ungeborenen betroffen (5) – und eine Vielzahl anderer struktureller Fehlbildungen ließen sich per Ultraschall entdecken. In der Regel ist dies im Rahmen der Organdiagnostik um die 20. Schwangerschaftswoche herum der Fall. In geübter Hand kann aber bereits die Hälfte der schwerwiegenden Fehlbildungen bei der frühen Ultraschall-Diagnostik im Rahmen des Ersttrimesterscreenings erkannt werden (6). Neben einer umfassenden Fehlbildungsdiagnostik erlaubt der frühe Ultraschall auch Aussagen darüber, wie hoch das Risiko für bestimmte Schwangerschaftskomplikationen ist. „Bereits in der 12. bis 14. Schwangerschaftswoche kann mithilfe des Präeklampsie-Screenings das individuelle Risiko für diese Komplikation eingeschätzt werden“, so Kagan. Bei auffälligem Befund kann mit einer täglichen Gabe von Aspirin 150 gegengesteuert und das Risiko der für Mutter und Kind gefährlichen Komplikation halbiert werden (4, 7). Eine Einschätzung des individuellen Frühgeburtsrisikos wiederum ist durch die sonografische Messung der Gebärmutterhalslänge möglich. Auch hier stehen präventive Maßnahmen zur Verfügung – ein weiterer Grund, so Kagan, weshalb die detaillierte Ultraschalldiagnostik auf keinen Fall aus der Schwangerenvorsorge verdrängt werden dürfe.

Quellen:

  • (1) Demko, Z., Prigmore, B. & Benn, P. A Critical Evaluation of Validation and Clinical Experience Studies in Non-Invasive Prenatal Testing for Trisomies 21, 18, and 13 and Monosomy X. J Clin Medicine 11, 4760 (2022).
  • (2) Screening for Fetal Chromosomal Abnormalities: ACOG Practice Bulletin Summary, Number 226. Obstetrics and gynecology 136, 859–867 (2020).
  • (3) Kagan, K. O., Sonek, J. & Kozlowski, P. Antenatal screening for chromosomal abnormalities. Arch Gynecol Obstet 1–11 (2022) doi:10.1007/s00404-022-06477-5.
  • (4) Kozlowski, P. et al. DEGUM, ÖGUM, SGUM and FMF Germany Recommendations for the Implementation of First-Trimester Screening, Detailed Ultrasound, Cell-Free DNA Screening and Diagnostic Procedures. Ultraschall in der Medizin (Stuttgart, Germany : 1980) 40, 176–193 (2019).
  • (5) eu-rd-platform.jrc.ec.europa.eu/eurocat/eurocat-data/prevalence_en
  • (6) Karim, J. N., Roberts, N. W., Salomon, L. J. & Papageorghiou, A. T. Systematic review of first-trimester ultrasound screening for detection of fetal structural anomalies and factors that affect screening performance. Ultrasound Obst Gyn 50, 429–441 (2017).
  • (7) Rolnik, D. L. et al. Aspirin versus Placebo in Pregnancies at High Risk for Preterm Preeclampsia. New England Journal of Medicine 377, 613–622 (2017).

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